Einsamkeit – schwierig zu erfassen, vor allem im Alter

François Höpflinger

Einsamkeit ist ein vielfältiges Phänomen und entsprechend nicht einfach zu erfassen und zu messen. Dies führt dazu, dass je nach Erfassungs- und Befragungsmethoden die Häufigkeit von Einsamkeit sehr unterschiedlich eingeschätzt wird. Die Ergebnisse verschiedener Studien sind deshalb nur schwer vergleichbar.

Im Allgemeinen zeigt sich, dass Einsamkeit (gerade auch im Alter) aus zwei Gründen unterschätzt wird:

Erstens nehmen vereinsamte und sozial am Rande stehende Menschen häufig weniger an Befragungen teil als sozial integrierte Menschen, ebenso wie gut gebildete und wirtschaftlich abgesicherte Menschen in Befragungen besser vertreten sind als bildungsferne und ärmere Menschen. Im hohen Lebensalter kommt dazu, dass sozial isolierte und alleinlebende Personen häufiger in einer Alters- und Pflegeeinrichtung leben als Personen mit breitem sozialen oder familialen Unterstützungsnetzwerk.

Zweitens gehört Einsamkeit  – ebenso wie Hoffnungslosigkeit und Scham –zu den doppelt abgeschirmten negativen Gefühlen; das heißt zu den Gefühlen, die man nicht gerne anspricht und gleichzeitig verdeckt. Dies zeigt sich vor allem, wenn direkt nach Einsamkeitsgefühlen gefragt wird.

So wurde in der Schweiz. Gesundheitsbefragung 2022 folgende direkte Frage gestellt: «Wie häufig kommt es vor, dass Sie sich einsam fühlen? Kommt das… vor?» (Antwortmöglichkeiten: nie, manchmal, ziemlich häufig, sehr häufig). Damit soll das subjektive Erleben von Einsamkeit direkt erfasst werden. Allerdings ist bei direkten Fragen immer zu berücksichtigen, dass einige Befragte eine sozial negativ bewertete Situation (einsam sein) verdrängen und nicht zugeben. 

Aus diesen Gründen sind in der Schweiz. Gesundheitsbefragung 2022 die Anteile von Befragten, die offen bekennen, ziemlich oder sehr häufig einsam zu sein, vergleichsweise gering. Deutlich häufiger wird die Antwort ‚manchmal einsam‘ gewählt, wobei die Antwortkategorie ‚manchmal‘ in Befragungen eine gerne gewählte Antwort ist, da ‚manchmal‘ inhaltlich unbestimmt ist.

Manchmal oder häufig Einsamkeitsgefühle nach Altersgruppe 2022

Wie häufig kommt es vor, dass Sie sich einsam fühlen? Kommt das… vor?

Altersgruppe*15-2425-3435-4445-5455-6465-7475+80+
N (ungewichtet)20782121301237394085332628121580
%-Werte (gewichtet)
manchmal einsam49%43%36%32%33%28%31%36%
sehr/ziemlich häufig einsam10%7%7%7%5%4%5%6%
restliche Werte: nie

* Zuhause lebende Personen

Eine alternative Form, um Vereinsamung und soziale Isolation zu erfassen, besteht darin, nach dem Vorhandensein oder Fehlen von Vertrauenspersonen zu fragen. Dies ist eine Frage, die Leute oft besser beantworten können als allgemein die Frage nach Einsamkeitsgefühlen.

In der Schweiz. Gesundheitsbefragung 2022 wurde dies wie folgt erfragt: «Gibt es unter den Personen, wo Ihnen nahestehen, öpper (jemanden), wo Sie wirklich jederzeit über ganz persönliche Probleme reden können?»

Das Vorhandensein einer oder mehrerer Vertrauenspersonen – mit denen persönliche Probleme besprochen werden können – ist ein wichtiger Indikator sozialer Unterstützung. Dabei spielt es kaum eine Rolle, ob es sich dabei um Familienmitglieder oder außerfamiliale Personen handelt. Das Fehlen von Vertrauenspersonen hingegen ist ein bedeutsamer Hinweis auf soziale Isolation, die mit zu erhöhten Einsamkeitsgefühlen beitragen kann.

Vorhandensein oder Fehlen von nahestehenden Personen
(gemäss Schweiz. Gesundheitsbefragung 2022)

Vertrauenspersonen: Gibt es unter den Personen, wo Ihnen nahestehen, öpper (jemanden), wo Sie wirklich jederzeit über ganz persönliche Probleme reden können?

Altersgruppe*15-2425-3435-4445-5455-6465-7475+80+
N (ungewichtet)20802123301637424088332528031580
%-Werte (gewichtet)
Ja, mehrere Personen78%81%76%73%72%69%64%63%
Ja, eine Person19%16%20%23%24%26%30%30%
Nein3%3%4%4%4%5%7%8%

*Zuhause lebende Personen

Im Altersgruppenvergleich zeigen sich insofern Unterschiede als der Anteil ohne Vertrauenspersonen im Alter leicht höher ist. Auffallend ist zudem, wie viele Menschen – vor allem im höheren Lebensalter – nur eine Person als Vertrauensperson angeben. Soziale Netzwerke im Alter werden oft kleiner und damit auch fragiler (weil der Verlust schon einer Bezugsperson zu Vereinsamung beitragen kann). 

Das Fehlen einer Vertrauensperson (mit der man persönliche Dinge besprechen kann) ist klar ein Vereinsamungsrisiko.

Einsamkeitsgefühle bei älteren Befragten nach Vorhandensein von Vertrauenspersonen

Zuhause lebende Personen im Alter von 65+, Angeführte Vertrauenspersonen

Ja, mehrere PersonenJa, eine PersonNein, niemand
N (ungewichtet):40711711346
Einsamkeitsgefühle:
Nie69%64%44%
Manchmal28%29%40%
Ziemlich/sehr häufig3%7%14%

SGB 2022: gewichtete Daten

Praktische Konsequenz:

Aufbau und Stärkung von sozialen Beziehungen im Kleinen, mit Menschen, denen man vertrauen kann und mit denen man jederzeit persönliche Dinge besprechen kann, ist eine erfolgreiche Strategie, um Einsamkeit zu verhindern oder zu lindern. 

François Höpflinger ist Soziologe, Altersforscher und Beirat der Stiftung Bonjour

Einsamkeit – Gemeinsamkeit

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